Bong
Bong war ein gewitztes Kerlchen, klein und dürr, mit borstigem, schwarzem Haarschopf, von den Philippinen abstammend und ja, sein Geburtsname war Bong. Er mochte Chips auf Weißtoast mit „Watties“-Tomantensoße als krachendes Sandwich. Er mochte den Geschmack von Pizza. Und er mochte uns.
Wir hatten uns in Auckland kennengelernt. Als Rani und ich das zweite Mal in der Stadt waren, unsere nötigsten Einkäufe erledigten und uns unser Weg in den outdoor-Laden führte. Dort war Bong Verkäufer und wir seine Kunden. Windig wie ein Wiesel schlüpfte er zwischen den Kleiderständern, Rucksackregalen und Angebotskisten herum und suchte uns, was wir brauchten. Man redete, scherzte, verhandelte. Schlussendlich gab er uns mit dem Kassenbon seine Handynummer mit – wir sollten uns melden, wenn wir es zum Hot Water Beach geschafft hätten. Dann komme er nach.
Nun waren wir dort, hatten die letzten drei Tage etwa 50 Kilometer zurückgelegt, unter einer Brücke neben Ingwerwurzeln und am Strand neben Seetangbergen geschlafen.
Gerade hatten wir unser neues Lager aufgeschlagen. Am Strand von Hahei, der Ortschaft vor dem Hot Water Beach, dort, wo der Strand aufhörte und eine steile Felsmauer aus dem Sand ragte. Wir saßen auf einer Plattform aus beigen Sandstein und warteten auf Bong. Er kam – mit Pizza, Bier und eckiger Sonnenbrille mit knallrotem Rahmen.
Zu dritt hockten wir bis lange in die Nacht hinein auf dem platten Felsen und Bong erklärte uns das Wahre Innere der Kiwis:
Sie seien zwar sehr, sehr offenherzig, aber sobald es tiefer ginge, blockierten sie. Er hatte es schwer gehabt, sich hier in Neuseeland einzufinden. Nach wie vor war ein Schotte sein bester Freund. Europäer wären zwar aus dem Stegreif nicht so offen – meinten es jedoch ernster mit Freundschaften. Deswegen hätte sich Grace auch nicht mehr bei uns gemeldet: Entweder hatte sie Angst vor einer „tieferen Beziehung“, oder aber sie war dermaßen gelassen, dass ihr das Sitzenlassen von Freunden nicht als Vernachlässigung in den Sinn kam.
Wir sagten Bong, er solle lieber Psychologie studieren anstatt Fotografie.
Als der Morgen anbrach, machten wir uns auf den Weg zur Cathedral Cove. Wir strichen durch Weiden, durch mannshohes Buschland, dessen vielfältige Blüten die grüne Farbpalette mit leuchtenden, bunten Tupfen besprenkelte, durch einen Wald aus Farnen mit pechschwarzen, kurzen Stämmen und limettengrünen, langen Wedeln, schlüpften unter Pinienbäume durch, hüpften über Pinienzapfen und gelangten schließlich zu unserem Ziel:
Ein kleines, helles Strandstückchen, umzäunt von mächtigen Sandsteinmauern und umspült von türkisfarbenem Meer. Die Cathedral Cove gewährte wie ein Mäuseloch einen kleinen Durchschlupf durch einem massiven, mit Gebüsch überwachsenen, überhängenden Felsen, der den Strand teilte. Das dreieckige Zulaufen der Grotte machte den Anschein eines Vorhangs und ließ eine Aussicht auf eine blaue Welt erspähen: tiefes Wasser, ferne Fjorde, unendlicher Himmel. Am anderen Ende des Strandes, gegenüberliegend von dem Mäuseloch, plätscherte ein zarter Wasserfall von der dort abgrenzenden Felsmauer hinab. Hinter seinem Lauf, senkrecht am Gestein entlang, wucherten Blumen im satten Rot – genährt von den Wassertröpfchen, die der Wind manchmal dem Strahl entriss und gegen die Wand blies.
Rund um den Strand hatte sich der Sandstein zu Bänken formatiert und wenn man ein bisschen kraxelte, trohnte man inmitten des ganzen Schauspiels, mitten im Paradies.
Wir wären am liebsten den ganzen Tag getrohnt, aber Bong musste seinen Hunger stillen. Wir fuhren zurück nach Hahei, es gab sein Lieblingssandwich und Cracker mit Pizzageschmack. Dann kauften wir Bier und machten uns auf den Weg zum Hot Water Beach, trafen auf eine Menschenmasse, warteten mit ihnen auf die Ebbe und begannen dann wie sie, wie versessen unser Loch in den rötlichen Sand zu buddeln, um an die Heißwasserquellen zu gelangen. Wir arbeiteten mit unserer grünen Salatschüssel, knieten im nassen Sand und wurden immer wieder von rücksichtslosen Wellen überrascht, die das frisch geschaufelte Loch wieder begruben. Alle arbeiteten verbissen weiter, bis endlich ein etwa 3 Quadratmeter breites, 25 Zentimeter tiefes Loch entstand, in dem 67 Leute sich herumsuhlen wollten. Das Wasser war entweder brühend heiß, oder eiskalt – je nachdem, welchen Quellenspot man erwischte. Der Spaß wurde mit der Dunkelheit und der hereinkommenden Flut beendet, man verabschiedete sich, danke für das gemeinsame Bad, und verschwand. Andere in ihre Hotels, wir auf eine Wiese, auf der wir es uns auf unserer Zeltplane gemütlich machten.