Interview ohne Ton

Nach drei Tagen Bequemlichkeit – reisen in Bongs Auto – setzte er uns an einer Kreuzung aus. Wir hatten die Coromandel umrundet. Für Rani und mich verlief der Weg nun weiter an der Küste, für Bong ging es zurück ins Großstadtleben. Zum Abschied schenkte er uns, was von seinen Picknicks übrig war: Weißbrot, Chips und Tomatenpesto (für den gewissen Pizza-Flavour) – die Tomatensauce konnte er allerdings behalten.

Wir saßen also am Straßenrand, wieder allein, versteckt im hohen Gras. Und picknickten erst mal. Autos fuhren an uns vorbei, ohne uns zu bemerken. Das war uns Recht so: Abschiede erschütterten uns immer wieder. Aber sie gehören nun mal genauso dazu, wie das Kennenlernen. ‚Hallo’ und ‚Auf Wiedersehen’ gab es viele auf unserer Reise. Was dabei aber zählte, war, ob man den anderen gern ziehen lässt, ihm dabei ein Stückchen von sich selbst mitgibt und einen Teil von ihm behält.

Bei Campbell hatten wir 5 Tage gebraucht, um den Abschied zu absorbieren. Jetzt saßen wir im Straßengraben und warteten. Warteten auf das nächste Auto, dass uns mit- und die Abschiedstraurigkeit wegnehmen würde.
Und da kam es schon an uns vorbeigezuckelt, entdeckte uns – zu spät – drehte ungeschickt um, fuhr auf der rechten Spur wieder an uns vorbei, wendete auf der leeren Kreuzung noch einmal und kam schließlich unsicher vor uns zum Stehen. Drinnen saßen zwei Kerle, die uns Tags zuvor schon am Hot Water Beach über den Weg gelaufen waren. Auch sie kamen aus Deutschland und tourten mit dem weißen VW-Bus für ein Jahr in Neuseeland rum. Rani und ich quetschten uns auf das Bett, das im Bauch des Autos die Sitze ersetzte, schoben eine Gitarre beiseite uns stellten unsere Füße auf Essenskisten ab, die den Boden bedeckten. In jeder Kurve raschelte es unter unsern Sohlen. Die Kartons waren nämlich über und über mit Kekspackungen gefüllt.
Die Burschen hatten „keinen Plan“, Rani und ich wollten nach Waihi an den Strand. Daddy Dave hatte sich nämlich gleich bei unserem ersten Besuch in Omaha unsere Karte und einen Marker geschnappt und exzessiv Orte angestrichen, die empfehlenswert waren. Unsere Karte leuchtete nun orange – passend zu unserem Zelt. Bei so viel markierten Plätzen war es oft hart, Entscheidungen zu treffen, wo es als nächstes hingehen sollte. Waihi lag diesmal am nächsten in unserem Umkreis, da war es nicht schwer, dass dies unser nächster Schlafplatz werden sollte.

Was allerdings schwer war, war mit den Jungs zu reden. Sie hatten zu nichts und niemanden eine Meinung:
Ob ihnen Neuseeland gefalle? – Schulterzucken.
Schon abenteuerlich Begegnungen gehabt? – Lippenschürzen.
Bereits auf Gastfreundschaft gestoßen? – Fragende Blicke.

Es war ein Interview ohne Ton. Ich musste an einen alten Freund aus Deutschland denken, der mir einmal sagte: „Leben ohne Leidenschaft ist wie ein Interview ohne Ton.“ Diese Kerle waren vollkommen leidenschaftslos unterwegs. Nach drei Tagen quirligem Bong-Gerede verlief diese Fahrt mehr oder weniger tonlos.

So kamen wir schließlich stumm in Waihi an, durchquerten lautlos die Dünen und saßen leise im heißen Sand. Die Jungs kifften, die Sonne knallte vom Himmel, wir schwitzen. Während einer der Kerle sich stundenlang im Wasser als toten Mann herumtreiben ließ und der andere nicht weniger lebendig dasselbe am Strand tat, zogen Rani und ich durch die Dünen auf der Suche nach einem Stellplatz für unser Zelt. Für uns war klar, dass wir nicht auch noch die Nacht stumm verbringen wollten. Wir fanden keine Verbindung zu den Burschen – also warum etwas erzwingen, das für beide Parteien sowieso nur angespannte Stille hervorbringt. So schlugen wir unser Zelt etwa hundert Meter entfernt von dem Parkplatz auf, auf dem der Bus stand – hatten wieder unsere Ruhe und konnten reden. Man ging miteinander um, wie Nachbarn, die sich eigentlich unangenehm sind: höflich und distanziert. Sie hatten ihren Bus, wir unser Zelt. Und das war auch gut so.