Mandy

Sabine hatte ihren Wohnsitz in Te Puru, etwa 15 km nördlich von Thames. Wir standen im Süden der Stadt, um im Norden aus ihr rauszukommen. Wer sich beim Trampen am Anfang einer Stadt versucht, geht ein großes Risiko ein, lange, lange warten zu müssen. Weil die Autos, die vorbeifahren, in die Stadt hinein müssen, und nicht aus ihr heraus. Thames ist zwar nicht groß – trotzdem konnten Rani und ich die Energie nicht aufbringen, bis ans Ende der Stadt zu marschieren. So blieben wir also auf der Kreuzung vor der Stadt stehen und warteten.

Autos schleppten Boote, kutschierten Urlauber, zogen arrogant an uns vorbei. Wütende Wagen fuhren uns fast die Zehen ab, bespritzen uns mit frischem Pfützenwasser, ihre gestressten Insassen schüttelten ihre Köpfe über uns.
Ein kleiner, knallroter Wagen kam direkt auf uns zugesteuert, schien aber nicht ans Bremsen zu denken. Wären wir nicht weggehüpft, hätte er uns zu Brei gemanscht. Doch wir reagierten im Lucky-Luke-Style und waren schneller als unsere Schatten. Erst als der Wagen unsere Schatten über den Haufen gefahren hatte, kam er unsicher zum stehen. Aufgeregt sprang die Fahrerin aus ihrem klapprigen Fahrgestell und schrie: „I always wanted to take hitch hikers with me!“ Während ihrer Worte rannte sie auf die andere Seite des Autos, um uns die Türen zu öffnen. Erwartungsvoll lehnte sie sich and die Wagentür, während Rani und ich uns vorsichtig und schattenlos zum Auto vortasteten. Als wir endlich vor dem Wagen standen, quollen uns Kisten, Kartons und sonstiger Krimskrams entgegen. Auch der Kofferraum war gerammelt voll – es hätte nicht mal mehr ein Foto meines Rucksackes Platz gehabt. Geschweige denn, dass Raum für zwei weitere Personen war…

Doch mit viel Fantasie und Flexibilität ist alles möglich. Rani quetschten wir wie eine Gummipuppe auf die Rückbank – oder was davon übrig war. Die Arme musste sich mit der Lücke zwischen Polster und Tür bequemen. Verdreht und verknotet, aber verstaut. Ich zwängte mich auf den Beifahrersitz. Kaum hatte mein Hintern den Sitz berührt, bekam ich – paff – eine Ladung auf meinen Schoß geknallt. Und ehe ich mich versah – puff – die zweite: unsere Fahrerin hatte also Raum für unser Gepäck gefunden. Ich blickte durch eine kleine Lücke zwischen den Rucksäcken vor meiner Nase zu ihr hoch. Ein grinsender Mund und ein hochgehaltener Daumen kamen mir entgegen: „Sweet!“ Dann donnerte sie mit einer Wucht die Türe zu, dass es uns eigentlich auf der anderen Seite des Wagens wieder hätte rausschleudern müssen, wäre da nicht das Gewicht auf meinen Füßen und die Gefängnismauer aus Kisten neben Rani gewesen.
Ächzend fuhr das Auto an. „I´m Mandy!“ – sie streckte mir, soweit ich es durch mein Guckloch beobachten konnte, schwungvoll ihre Hand entgegen, bemerkte dann meine miserable Lage und zog ihren Arm zurück, um sich zwischen ihren Füßen von einem SixPack zu bedienen. „I usually don´t drink while driving- “, der Bierdeckel ploppte und Mandy nahm einen großen Schluck, „but when I´ve got the car for my own and my boyfriend isn´t there: I do everything I like to do!” Sie streckte frech ihre Zunge raus, ließ sie aber schnell wieder in ihren Mund zurückschnallen, um von ihrem Joint zu ziehen.

Sie plapperte lustig drauf los: sie war Köchin in einem vegetarischem Restaurant, wir sollen sie doch besuchen kommen, das vegetarische Restaurant sei echt empfehlenswert, dort – im vegetarischen Restaurant – hätte sie auch eine Freundin, die auch aus Deutschland kommt, oh! Wie sie die Deutschen möge, morgen trinke sie Tequila mit ihrer deutschen Freundin, und wenn sie nicht zu verkatert sei am Tag drauf sollen wir sie besuchen kommen, sie arbeitet in einem vegetarischem Restaurant, als Köchin…

Der Wagen fuhr auf der sowieso schon kurvenreichen Strecke unter Mandys Führung noch mehr Schlangenlinien als nötig. Sie schien in ihrer sorgenlosen Art immer wieder das Lenkrad zu vergessen, um abwechselnd Bierflasche und Zigarette an den Mund zu führen, wild zu gestikulieren, sich verbog und verzog, um blind tastend in den Kisten hinter ihr nach neuen CDs zu gruscheln.
Das alles nur durch eine kleines Guckloch zu beobachten, machte das ganze zu einem 4D-Film: zu dem spannenden Handlungsablauf wurde man ab und an auch noch auf seinem Sitzplatz durchgeschüttelt, um den Film realer zu gestalten.

Doch es war nur eine kurze Vorstellung: nach geringer Fahrtzeit kamen wir in Te Puru an – Mandy war offensichtlich sehr enttäuscht darüber, wie sie mit einem Griff nach dem zweiten Bier verdeutlichte. Um das Ganze noch rauszuzögern, entschied sie sich dazu, uns bei der Suche nach Sabines Haus zu helfen. Wir fuhren ruckartig von Briefkasten zu Briefkasten, um bei jedem festzustellen, dass wir noch nicht bei der richtigen Nummer angelangt waren und wir den Berg noch weiter hochkriechen müssten. Mein Hirn trat mir schon links und rechts auch meinen Ohren heraus, weil mein Schädel ständig zwischen Kopfstütze und Rucksack hin- und herflog. Hinter einer Kurve stand Sabine dann plötzlich in ihrer Einfahrt – sie hatte uns wohl schon kommen hören. „Oh – that´s your friend?!“, kreischte Mandy mit offensichtlicher Sympathie auf den Schrank. Sie vergaß um ihre neugewonnen Freunde in ihrem Auto, um neue Freundschaft mit Sabine zu schließen. Währen Rani und ich uns aus dem Auto quälten, hörten wir Mandy im Hintergrund fröhlich reden: Sie arbeite in einem vegetarischem Restaurant, als Köchin, dort habe sie auch eine Freundin, die aus Deutschland kommt, oh! Wie sie die Deutschen möge,…