Festessen

Nachdem Mandy in ihrer roten Kiste schließlich davon gerumpelt war  – nicht ohne uns alle jedoch noch einmal zu ihr in das vegetarische Restaurant, in dem sie ja als Köchin arbeite, einzuladen – hieß uns Sabine dann endlich willkommen. Ihr Häuschen war das vorletzte an der engen Schotterstraße – danach war nur noch wilder Busch. Mit Wildschweinen. Von dem es abends Braten geben sollte. Während Sabine also wieder in die Küche hochwuselte, um das Essen vorzubereiten, erkundeten Rani und ich den sich vorbeischlängelnden Bach. Gingen ein wenig die Straße hoch, schlüpften durch dickes Geäst, vorbei an einem alten, rostigen Zugwaggon und fanden ein Badeloch vor. Das Wasser plätscherte sonst friedlich über Geröll, war seicht und leicht zu überqueren. Hier sammelte es sich in einem dunkelgrünen Becken an, umgeben von bauchigen Felsen. Die Kühle, die von ihm ausging, erweckte unsere Lebensgeister wieder, die wir auf der Schreckensfahrt verloren hatten.  Vom Badeloch aus konnte man Sabines Hüttchen sehen – wie ein Hexenhaus ragte es mit seinem spitzen Kamin aus den Baumwipfeln empor und machte diesen Konkurrenz.

Im Dickicht raschelte es. Eine braune Kugel kam uns wie ein lederner Fußball entgegengeschossen. Erst als sie vom Wasser abgebremst wurde, erkannten wir ihre wahre Gestalt: die dreibeinige Bulldogge, Sabines Hüterin, Helferin und Heldin hatte uns verfolgt und paddelte nun neugierig in Kreisen um uns herum.
Wie sagt man so schön: wie der Hund  – so sein Herrchen?

Auch Sabine war ein ganz schönes Packet: ihr kahlgeschorener Kopf, der mich um zwei Schädelgrößen übertrumpfte, saß auf breiten Schultern, die von einem runden Bauch gestützt wurden, der von zwei festen Schenkeln getragen wurden, die sich auf zwei dicke Waden verließen, an denen platte, rote Füße hingen, die in breit gelatschten Birkenstock steckten. Wenn sie sprach, lehnte Sabine sich selbstgefällig in ihren Stuhl zurück, die Beine weit auseinander gestellt  und zog bei jedem Wort, das sie aus den Tiefen ihres Bauchraums hervorholte, ihr Kinn immer ein Stückchen näher an den Hals heran. Dabei verschob sie den Kopf abwechselnd nach links und nach rechts. Sie erinnerte mich an diese Wackel-Dackel-Figuren, die man sich zur Erheiterung aufs Armaturenbrett im Auto stellt. Am Schluss ihrer Rede hatte sie ein Dreifachkinn und immer Recht.

Sie trank aus einer 2-Liter Flasche Scrumpy, dem neuseeländischen Kopfweh-Cider, und erzählte uns ihre Lebensgeschichte. Dass sie eigentlich ein zierliches Bauernmädel war, das später Landschaftsgärtnerin lernte und mit ihrer älteren Schwester zusammen arbeitete. Während ihre Schwester in dem Beruf aufging, litt Sabine nur darunter. Sie brauchte Veränderung, flog nach Neuseeland – und blieb hier. Heute ist sie Behindertenpflegerin, dick und glücklich.

Ihre Mutter schickt ihr jeden Monat ein Paket mit Sauerkraut und Knödelpulver. Ihr Papa legt ihr immer einen Zettel, einen Zeitungsausschnitt oder einen Internetlink bei. Alle handeln sie von der Unnatürlichkeit der Homosexualität – oder von der Natürlichkeit der Heterosexualität, der Heirat und der Ehe.
Der Knödelpulvervorrat wurde an diesem Abend aufgebraucht – und Mann, was waren wir für eine feine Gesellschaft: die Nachbarn aus dem allerletzten Häuschen oben an der Straße wurden eingeladen und brachten ihre zwei Söhne mit, Sabines Mitbewohner war voller Stolz, weil er das Wildschwein gejagt, getötet und zerlegt hatte, Sabine happy, weil sie ihr Deutsch wieder auffrischen konnte und Rani und ich von dieser deutsch-neuseeländischen Gastfreunschaft angetan. Das war ein Fest. Das war ein Festessen.