Tanz mit den Schafen

Anfang August. Und es war wieder viel passiert. Ich hatte manche meiner gestohlenen Sachen von der Nelsonschen Polizei wiederbekommen. Sie waren im Fluss gefunden worden. Sir Ian McKellen, der Gandalf aus ‚Herr der Ringe’, war Gast in der Lodge gewesen. Und ich sein Zimmermädchen. Ich hatte ihm nachmittags frische Blumen ins Zimmer gestellt, abends den Weg dorthin erklärt und später in der Küche als Tellerwäscher seine Schüsseln abgewaschen (er hat seine Suppe nicht aufgegessen). Ich hatte mit meiner lieben Freundin Rani auf der Südseeinsel Tonga aus Kokosnüssen geschlürft und Männer angelächelt, damit wir sie zum Lachen kriegten und ihre Goldzähne blitzen und ihre Baströcke schwingen sahen. Ich war von einem Erdbeben der Stärke 5,5 in Christchurch wachgerüttelt worden. Und hab in derselben Stadt den Besuch des Dalai Lamas haarscharf um eine Minute verpasst.

Und ich hatte mich verliebt. Er war der Barkeeper von Furneaux. Abends saß ich am schweren Holztresen und während die Meute um mich herum ihr Bier soff, mixte er für mich Spezial-Cocktails. Ende Mai kündigten wir und begaben uns nach Invercargill, von wo er stammte. Wir fanden Arbeit auf einer 700-Kuh-starken Farm, hatten einen Hund, Titan sein Name, und einen Kamin in unserem Arbeiterhäuschen.

Am 8. August brachte er mich nach Oamaru. Von dort aus sollte es für mich weitergehen. Ich hatte noch drei Wochen, dann hieß es „Cheers New Zealand“.

In Oamaru traf ich auf Kim. Er ist Belgier, rothaarig, hakennasig, studierter IT-Fachmann – und wollte mal raus aus der Computerwelt. Er legte dieselbe Reiseweise an den Tag wie ich. Nur dass er auf den Weg in den Süden war, ich auf den in den Norden. Trotzdem beschlossen wir, dass wir gemeinsam zum Mt. Cook trampen würden. Und ich war heilfroh um seinen „Beistand“. Denn wäre ich allein gewesen, wäre ich in das nächste Auto Richtung Invercargill gehüpft und hätte mich auf der Farm vor dem Heimflug versteckt.

Die 200 km zwischen Oamaru und Mt. Cook wären ein Katzensprung, so dachten wir. Doch als wir nach genau 98 km und sechs Stunden frierend irgendwo vor Otematata standen, sanken langsam die Hoffnungen, dass wir es heute noch schaffen würden. Ein gelber Mond stand bereits über den roten Bergspitzen. Dürre Ästchen von kahlen Bäumen zitterten unter dem stahlgrauen Himmel. Sie trugen bereits Blüten. Feine, rosarote Sterne zierten die trockene Rinde. „Für die Menschen ist es immer noch Winter, für die Pflanzen schon Frühling“, erklärte uns Jane. Sie flog in ihren silbernen Ford wie ein Engel auf uns zu und nahm uns kurz bevor es ganz finster wurde mit auf ihre Schaffarm. Auf der Te Akatarawa Station wurde gerade geschoren. Es war wie ein Tanz: Der Scherer packte gekonnt das Schaf, setzte es auf seinen plüschigen Hintern und umklammerte es mit seinen starken Knien. Dann ließ er routiniert und blitzschnell die Klinge über den Körper des Tieres laufen. Den Kopf und die Beine zuerst, dann am Bauch entlang und schließlich zum Rückgrat hoch. Vier Maori Frauen hoben das erhaltene Fell auf einen großen Tisch, zupften und schnitten es zurecht – da hatte der Scherer schon ein neues Fell für sie. Die verängstigten und nackten Schafe ließ man in einer Art Rutsche wieder ins Freie, während die Artgenossen zusammengepfercht auf ihren Friseurtermin warteten. Ich war gefesselt von diesem Rhythmus, von dem Duft, den das geschnittene Fell verbreitete und von der Konzentration der Arbeiter. Die Te Akatarawa Station ist eine der 20 Farmen in Neuseeland, die Merinowolle für Icebreaker herstellt. Und dieser Wohlstand machte sich bemerkbar: Jane und ihr Mann Fred wohnten in einer alten, viktorianischen Villa auf dem riesengroßen, steinigen Gelände. Für mich war sie die Villa Kunterbunt: von überall her leuchteten andere Farben auf mich herab, die Wände waren in den verschiedensten Blumentapeten überzogen, die Lampenschirme von aller Form und Farbe, ein wild gemusterter, weicher Teppichboden zog sich durch das gesamte Haus, alte Kommoden und Kästchen standen überall herum und verbargen hinter dicken Schlössern ihre Geheimnisse, auf meinem Bett lagen drei verschieden gemusterte Steppdecken. Es roch nach geschmolzener Butter. Jane hatte für uns gekocht – davor saßen wir mit ihrem Mann und ihrer Freundin im Wohnzimmer vor dem offenen Kamin, in dem zwei Holzscheite rot glühten. Wir tranken Gin aus geschliffenen Kristallgläsern und diskutierten über organische und non-organische Produkte.

So verging ein weiterer Abend und ich war stolz, wieder ein Stückchen nach Norden gerückt und nicht umgekehrt zu sein.