TranzAlpine

Am nächsten Tag schafften wir es doch noch zu Mt. Cook. Sogar zu Mt. Cook, die Straße wieder zurück und bis zum Lake Tekapo. Ich weiß nicht, ob es an dem Lunchpaket lag, das uns Jane noch mit auf den Weg gegeben hatte, oder an dem strahlend blauen Himmel. Abends jedoch wurde uns diese Wolkenlosigkeit zum Verhängnis: klare Nächte sind bekanntlich kälter als bedeckte, da keine Wolkenschicht die Erdwärme reflektieren kann. Und wir hatten nur Kims Ein-Mann-Zelt. Es war klirrend kalt, als wir das Zelt mit blauen Händen aufstellten und versuchten, die Heringe in den gefrorenen Boden zu rammen. Rupert, ein Ferienhausmieter, hatte uns davor von der Straße geholt und uns in seinen Hintergarten gelotst. Ins Haus durften wir nicht – das wäre seiner Ehefrau nicht so Recht. Er brachte uns Decken und seine Antarktisjacke. Ich hatte unter Kims geliehener Daunenjacke sowieso schon 9 Schichten an – eigentlich war für uns gar kein Platz mehr im Zelt, weil wir mit unserem gesamten Hausstand, den wir an den Körpern trugen, auf den Isomatten um unseren Platz kämpften wie zwei Sumoringer.

Am Morgen war die Kondensation an den Zeltinnenwänden gefroren. Wenn ich meine warmen Fingerspitzen darauf legte, schmolz eine ovale Stelle heraus und ein Wasser gewordener Tropfen unseres Atems rann die Zeltwand herunter. Die ums Zelt herum verstreuten, leeren Rucksäcke waren weiß vor Tau, das Wasser in unseren Flaschen gefroren. Rupert kam mit einer heißen Tasse Kaffee zu uns heraus. In der Nacht hatte es -5° Celsius gehabt.
Nach dieser Nacht trennten sich Kims und meine Wege. Für mich ging es weiter nach Norden, für Kim nach diesem Umweg in den Süden.
Von Christchurch nahm ich den Tranzalpine hinüber nach Greymouth. Ich hatte keine andere Wahl: Christchurch war „eingeschneit“. Es lag etwa 5 cm weißgrauer Matschschnee. Offiziell waren es 20. In den Städten fuhren die Autos mit Schneeketten umher – wenn sie sich überhaupt auf die Straße trauten. Geschäfte, Schulen, Banken – sie alle waren wegen „Schneechaos“ geschlossen. So auch die Straßen, die nach und aus Christchurch führten. Ich hatte also keine Wahl. Der Zug war die einzige Möglichkeit, der Stadt zu entfliehen.

Ich buchte mein Ticket mit wenig Vorfreuden. In Neuseeland sind Züge nicht wie in Deutschland weitverbreitete Personentransportmittel, sondern Touristenkutschen. Und genau die hatte ich versucht, die letzten 9,5 Monate zu vermeiden. Außerdem war bei der Buchung ein Fehler unterlaufen und mein Platz war schon besetzt. Der Vater des Kindes, der nun also statt mir auf 72F saß, sprang sofort auf, um die Sachlage zu klären. Er kam zurück mit einem neuen Platz und frischen Kaffee für mich. Ich schenkte ihm einen selbstgebackenen Keks. Daraufhin verlagerten die beiden ihre Sitzplätze zu mir, denn „wer einem einen Keks schenkt, mit dem muss zusammen gefrühstückt werden“. Und so wurde die Alpenüberquerung wurde der Highlights meiner Neuseelandreise. Wenn der graue Schnee unter dem noch graueren Himmel im grauenhaften Industriegelände von dieser, vom Erdbeben zerstörten, Stadt, durch das wir Christchurch verließen, trist und schmerzvoll wirkt, so zauberte er wunderschöne Bilder in die Landschaft hinter der Metropole.

Es ging durch puderzuckerbestäubte Felder, die immer hügeliger wurden und zum Schlittenfahren einluden. Und urplötzlich befanden wir uns mitten in den Bergen. Ein grüner Gletscherstrom folgte unserem Weg. Immer wieder tauchte er auf und verschwand wieder hinter einer Biegung. Die massiven Berge um uns herum waren rau und mit einer detaillierten Schneegrenze versehen, als hätte man sich angestrichen. Kleine Seen waren zugefroren. Gelb blühendes Gestrüpp umgab sie. Wir verbrachten die meiste Zeit auf der Plattform. Eisiger Wind pfiff uns um Nasen und Ohren. Aber wir spürten nichts, wir waren zu beschäftigt mit Staunen. Der Zug hielt am Arthur´s Pass. Und als wir aus der Zugtür hüpften, sprangen wir in ein weißes Federbett: zwei Meter feiner Schnee, der unter unseren Füßen knirschte. Zuerst schienen alle verzaubert und dann – genauso plötzlich wie wir uns davor in den Bergen befanden – begann eine riesige Schneeballschlacht zwischen all den Mitfahrern. Die gesamte Truppe von 200 Mann war in ihrer ganz eigenen „winter wonder world“. Ja, es waren alle Touristen. Und so war ich einer (obwohl ich den Begriff „Reisende“ bevorzuge). Wir alle waren bunt durchgemischt.

Da war ein Mann aus Auckland, der den TranzAlpine nun von seiner „bucket list“ streichen konnte. Da war ein Mädchen aus Malaysia, das zum allerersten Mal in ihrem Leben Schnee sah. Da waren Anthony und Jamie, meine Platzbesetzer, die in Greymouth ihre kranke Mutter/Oma besuchen wollten. Wir alle waren gefangen in einer so warmen Atmosphäre – es war als zelebrierten wir zusammen diese Zugfahrt. Es wurde geredet, jeder mit jedem, Adressen ausgetauscht, Fotos geschossen. Nach der gemeinsamen Schneeballschlacht gab es selbstgebackene Muffins an Bord und die Waggons schlossen sich zu einem einzigen Kaffeekränzchen zusammen. Und dann, als hätte man hinter dem 8 km langen Tunnel nach dem Arthur´s Pass einen Schalter umgelegt, war das Grau gewichen und der Schnee glitzerte unter einer strahlenden Sonne. Es war einfach nur …magisch.