Der Campingplatzwechsel

Der Regen dauerte acht Tage.
Nach drei Tagen ging uns das Trinkwasser aus. Wir hatten zwar versucht, mit unserer grünen Salatschüssel Regenwasser zu sammeln, aber diese füllte sich nur mit brauner Flüssigkeit, in der tote Insekten und Blätter schwammen. Also blieb uns wohl oder übel nichts anderes übrig, als am 4. Tag bei Regen das Zelt abzubauen, durch das Gras, das sich mittlerweile in ein Sumpfgebiet verwandelt hatte, zum Highway zu stapfen und uns dort von den vorbeirasenden Autos mit Pfützenwasser vollspritzen zu lassen. Nach etwa 10minütiger, demütigender Dauertaufe durch Raser hatte man Mitleid mit uns und schickte uns Sybren. Sybren war ein junger Bursch aus Holland, der allein in einem Familienauto plus kompletter Campingausrüstung in doppelter Ausführung unterwegs war. Diese präsentierte er uns stolz in einer Parkbucht, in der er anhielt, um für uns Kaffee zu kochen. Regen tropfte unablässig in die braungraue Brühe, die er uns in pinken Plastikbechern servierte. Es war kein luxuriöses Kaffeekränzchen, aber es tat gut, nach 3 Tagen endlich wieder etwas Warmes in den Bauch zu bekommen.

Sybren nahm uns mit nach Rotorua – die Stadt, in der man Schwefel statt Luft atmet, weil sie in einem vulkanisch aktiven Gebiet liegt. Dort holte er einen Freund ab und zusammen machten wir uns auf Schlafplatzsuche. Rani durfte den Familienwagen steuern und fuhr zum ersten Mal auf neuseeländischen Straßenverhältnissen. Sie meistere die Sache souverän – trotzdem verfuhren wir uns ständig. Das könnte aber an meinen schlechten Kartenleseverhältnissen gelegen haben. Schließlich kamen wir doch zu einem der Seen rund um Rotorua und verbrachten dort die Nacht. Am frühen Morgen wachten Rani und ich auf. Wir lauschten – und zum ersten Mal trommelte es nicht gegen das Zelt! Der Himmel stand in einem weißen Grau still, der See glänzte silbrig und atmete dünne Nebelfetzen aus. Wir unterbrachen die Idylle, als wir jauchzend vom Steg sprangen, um uns seit Tagen mal wieder zu „duschen“.

Wir hatten die Regenlücke ausgenutzt, denn kaum saßen wir wieder in Sybrens Auto, das uns runter nach Rotorua brachte, prasselte es wieder gegen die Fensterscheiben. In Rotorua verabschiedeten wir uns von unserem Holländer und seinem kanadischen Freund, um weiter ostwärts zu kommen. Zwei Inder nahmen uns in ihrem roten Schrottkarren mit. Der jüngere von beiden saß am Steuer und sprach mit stark indischem Akzent Englisch, der weitaus Ältere hatte es sich hinten bequem gemacht und war die ganze Fahrt über stumm. Sie brachten uns nach Opotiki, wo der Ältere ein Restaurant besaß. Während ich mich auf dem Beifahrersitz abmühte, den Fahrer zu verstehen und aus einem 5Kilo Eimer Kekse aß, die er mir anbot, fror sich Rani auf der Rückbank neben dem Stummen ihre Füße ab: Das Auto war vollgepackt mit Essen – wohl für das Restaurant. Wie so oft saßen wir, zwischen irgendwelche Kisten gequetscht, die Rucksäcke auf unsere Schöße, unfähig uns zu bewegen, auf unseren Plätzen. Rani musste ihre nackten Füße auf einem gefrorenen Fleischklumpen abstellen, dessen achtlos angebrachte Frischhaltefolie langsam zu Boden rutschte. In Opotiki wollte der Junge uns noch zu einem Getränk ins Restaurant einladen – wir wollten weg von Sprachbarriere und Fleischklumpen. Trotzdem gingen wir mit den beiden durch den dunklen Hintereingang, vorbei an gestapelten Essenskisten, Mülltonnen und Fliegenschwärme ins Restaurant. Dieses war genauso dunkel, die Fenster zur Straße waren mit dicken, weinroten Vorhängen mit goldenen Kordeln verhangen. Wir blieben noch ein Wasserglas lang – dann sagten wir, dass wir weiterziehen müssten. Durch den Hintereingang kamen wir auf die Straße – es regnete – und wir stellten uns erst einmal wieder unter.
Wir hatten zwei Möglichkeiten aus der Kleinstadt rauszukommen. Entweder die Ostküste entlang (von Dave orange nachmarkiert) – oder durch „die Schlucht“ direkt nach Gisborne. Eine alte Frau sagte, sie nehme uns durch die Schlucht mit, wenn wir nach ihren Einkäufen immer noch auf der Straße saßen. Ein alter Mann erzählte uns, dass die Straße nach Gisborne 450 Kurven besaß.

Wir nahmen die Kurven in Kauf: Nach etwa anderthalb Stunden lud die Dame ihre Einkäufe, ihren Ehemann und uns ins Auto, glitt mit dem silbernen Schlitten aus Opotiki auf die Kurvenstraße und fütterte uns mit Karamellbonbons. Die zwei waren Bilderbuchgroßeltern mit einer Tüte voll Süßigkeiten, Herzen voll Liebe und Kopf voll Hilfsbereitschaft. Bei jeder sich anbietenden Möglichkeit stoppten sie den Wagen, stiegen trotz grauenhaften Nieselregen mit uns aus, um die Stelle auf Schlafplatzmöglichkeit zu erkunden. Mit ihren cremefarbenen Halbschuhen und seinen glatt gebügelten Hosen stiefelten sie mit uns durch kniehohes Gras, matschige Erde und nasse Kieselsteinhaufen, um einen Platz für uns zu suchen. Nach etwa 207 Kurven fanden wir dann unseren nächsten Schlafplatz: ein DOC Campingplatz bot eine große Grasfläche, eine Feuerstelle und sogar ein Plumsklo an! Wir hatten eine Bleibe für die nächsten 3 Tage gefunden – denn dann würde unser Trinkwasser ausgehen, aber auch das Wolkenwasser – so jedenfalls versprach uns der Wetterbericht im Auto unserer hilfsbereiten Freunde.